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Beitrag vom 24.10.2019
Gott existiert, Ihr Name ist Petrunya. Kinostart 14. November 2019
Ahima Beerlage
Die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska erschafft mit der arbeitslosen Historikerin Petrunya eine starke Heldin, die der durch fromme Folklore durchsetzten orthodox-christlichen Männergesellschaft die Stirn bietet. Mit Zorica Nusheva als Hauptdarstellerin hat die Regisseurin dabei eine kongeniale Partnerin für ihre intensiven, im wahrsten Sinne des Wortes hautnahen Bilder gefunden und damit starkes, vielbeachtetes feministisches Kino geschaffen.
Petrunya lebt mit ihren Eltern zusammen in einem kleinen Dorf in Mazedonien. Lustlos sucht sie, angetrieben von ihrer Mutter, nach Arbeit. Ihre Mutter ist ihr moralisch dabei keine Hilfe, rät sie ihr doch, ihr Alter von 32 Jahren zu verschweigen, um nicht als "alte Jungfer" zu gelten. Auch sonst traut sich die Tochter, die immerhin einen Hochschulabschluss in Geschichte hat, nicht viel zu und sieht nur ihre Schwächen. Auch ihre Freundin, deren ganzes bescheidene Glück darin liegt, die Affäre eines verheirateten Mannes zu sein und aus ihrer vollgestopften Wohnung Kleider im Internet zu verhökern, macht ihr wenig Mut. Als sie dann noch nach einem demütigenden Vorstellungsgespräch bei einem Fabrikbesitzer nachhause läuft, wagt sie buchstäblich den Sprung ins kalte Wasser, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Das Glück der Frauen ist das Unglück der Männer
Petrunya erbeutet bei ihrem Sprung in den eiskalten Fluss ein Holzkreuz, das der Pope der orthodoxen Kirche in ihrem Dorf im Rahmen der jährlichen Dreikönigsprozession in den ortsnahen Fluss wirft. In einer Mischung aus frommer Folklore und konservativ-christlicher Tradition fischen die jungen Männer des Dorfes das Kreuz aus den eisigen Fluten, damit es dem Sieger und seiner Familie ein Jahr lang Glück bringt. Als das Kreuz nun von einer Frau erbeutet wird, gerät das patriarchale Weltbild des Dorfes ins Wanken und schlägt bei den vermeintlich betrogenen Männern in blanken Hass gegen sie um. Auch die dörflichen Autoritäten sind verunsichert. Kurzerhand verhaftet man die Frau, um "die allgemeine Ordnung" wiederherzustellen. Doch so schnell gibt die Historikerin nicht auf und findet eine Verbündete in einer TV-Reporterin, die sich weder von ihrem Chef noch von den örtlichen Honoratioren von dieser Story abbringen lässt.
Mutiger Stolz versus blanke Wut
Teona Strugar Mitevska, die Regisseurin, findet eine klare, verstörende Bildsprache, die vom ersten Bild an die Zuschauenden in ihren Bann zieht. Die Kamera folgt der Protagonistin mit einer gnadenlosen Nähe, die kein überzogenes Spiel zulässt. Ihrer Hauptdarstellerin Zorica Nusheva ist dieser Aufgabe eindeutig gewachsen. Beinahe stoisch, und dennoch mit kleinen, feinen Nuancen spielt sie diese Heldin, die sich unbeirrbar aus der Machtlosigkeit herauskämpft, die ihr Umfeld ihr zuschreibt. Diese subjektive Kameraführung ist es aber auch, die den Zuschauenden den blanken Hass zeigt, der dieser mutigen Frau entgegenschlägt, als sie das erstarrte Ritual männlicher Dominanz, das Tauchen nach dem Kreuz des Glücks, aneignet und es auch nach zahlreichen Drohungen nicht loslassen will. Während die Geste und Dialoge der Männerwelt fast mit starrer Kamera distanziert dokumentiert werden, bleibt die Geschichte der Petrunya immer subjektiv, immer mitfühlend, immer auch verletzlich. In all dieser manchmal bedrückenden und bedrohlichen Enge werden die Ereignisse durch ruhige, berührende Momente konterkariert.
Das Drehbuch, das die Regisseurin mit Elma Tataragić verfasst hat, schafft dabei eine Welt, in der Realität und Satire sich ineinander verweben und die Grenzen nur schwer auszumachen sind. Dabei hat die Regisseurin neben der herausragenden Hauptdarstellerin ausdrucksstarke Mitspielende für ihre nahen, oft fast im Standbild verharrenden Bilder gefunden. Tristesse spannend aufgebrochen, eine erstarrte folkloristisch-religiöse Männergesellschaft mit scharfer Klinge seziert, Feminismus in starken Bildern – nicht umsonst wird dieser mazedonische Film von und mit großartigen Frauen auf vielen Filmfestivals begeistert aufgenommen.
AVIVA-Tipp: Petrunyas trotziger Widerstand gegen eine in rückwärtsgewandten Ritualen erstarrte Männergesellschaft, in der Frauen chancenlos erscheinen, ist wahrhaftig keine leichte Kost, denn leicht hat es die arbeitslose Historikerin, die mit ihren 32 Jahren für ihre Mutter und ihr Umfeld schon in die Jahre gekommen zu sein scheint, wahrhaftig nicht. Doch mit einem Sprung ins kalte Wasser legt Petrunya ihr glückloses Kreuz ab und eignet sich dafür das glücksbehaftete Kreuz der Männer an. Das bringt die männliche Seele zum Kochen. Drehbuch, Bilder und Darstellende sind dabei auch keine Leichtgewichte. Die Story schafft es, scharfzüngig und gleichzeitig nahbare HeldInnen zu schaffen und die realsatirische Story so realitätsnah wie möglich zu erzählen. Die Regie von Teona Strugar Mitevska nimmt die Zuschauenden so dicht in das Geschehen, dass ein Ausweichen unmöglich erscheint. Ihr gelingt dabei ein sehr persönliches wie auch analytisches Bild, das eine Gesellschaft zwischen wachsendem, von Volksfrömmigkeit durchsetztem, orthodoxen Christentum und einer atheistischen Vergangenheit zeigt, die sich nur in einem einig zu sein scheint: in ihrer Frauenfeindlichkeit. Ein zu Recht auf vielen Filmfestspielen hochgelobter feministischer Film, der hoffentlich auch bundesweit sein Publikum findet.
Zur Regisseurin: Teona Strugar Mitevska geb. 14. März 1974 in Skopje, Jugoslawien (heute Mazedonien), Sie ist Regisseurin und Drehbuchautorin. Sie stammt aus einer Künstler*innenfamilie in Skopje, Mazedonien. Als Kind schauspielerte sie, erlernte die Malerei und Graphikdesign. Später absolvierte sie das Master of Fine Arts Program Film an der Tisch School of Arts in New York. Ihr Debütkurzfilm VETA gewann einen Jurypreis bei der Berlinale 2002. Seither ist sie mit ihren Langspielfilmen regelmäßig bei Festivals zu Gast. Bekannt wurde sie durch "Gott existiert, ihr Name ist Petrunya" (2019), "Jas sum od Titov Veles" (2007) und "Veta" (2001).
Auszeichnungen
Auf der Berlinale 2019 erhielt "Gott existiert, Ihr Name ist Petrunya" den Preis der Ökumenischen Jury sowie den Gilde Filmpreis. Auf dem Open Air Film Festival in Tirana 2019 gewann "Gott existiert, Ihr Name ist Petrunya" die Auszeichnung als bester Film und erhielt den Preis für die beste Schauspielerin. Auf dem Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund und auf dem Fünf Seen Filmfestival gewann er den Hauptpreis. Auf dem Internationalen Frauenfilmfestival Salé in Marokko erhielt der Film den Her Film Award von der UNSECO, den Preis für die beste Schauspielerin und den Sonderpreis der Jury. "Gott existiert, Ihr Name ist Petrunya" lief auf zahlreichen anderen Filmfestivals und erhielt weitere Preise.
Gott existiert, ihr Name ist Petrunya
Originaltitel: Gospod postoi, imeto i´ e Petrunija
Mazedonien / Frankreich / Belgien / Slowenien / Kroatien 2019
DarstellerInnen: Zorica Nusheva, Labina Mitevska, Simeon Moni Damevski, Suad Begovski,Stefan Vujisic, Violeta Shapkovska
Regie: Teona Strugar Mitevska
Drehbuch: Teona Strugar Mitevska und Elma Tataragić
Kamera: Virginie Saint-Martin
Schnitt Marie-Hélène Dozo
Musik: Olivier Samouillan
Produzentin: Labina Mitevska (Sisters and Brother Mitevski) Koproduzent*innen: Sébastien Delloye (Entre Chien et Loup), Danijel Hočevar (Vertigo), Zdenka Gold (Spiritus Movens), Marie Dubas (Deuxième Ligne Films), Elie Meirovitz (EZ Films)
Kinostart: 14. November 2019
Im Verleih von jip film & verleih
Mehr zum Film, Kinotermine und der Trailer unter: jip-film.de und www.facebook.com/PetrunyaderFilm